Digitalisierung der Industrie – Die nächste (R)evolution !?

Vielfach ist beim Gebrauch des Schlagwortes „Industrie 4.0“[2] der Reflex vorhanden, an eine „Revolution“ zu denken. Gar nicht so abwegig, aber dennoch nicht ganz richtig.
 
Die Industrie entwickelt sich seit Jahrhunderten eher evolutionär. Im 18. Jahrhundert begann dies mit der Mechanisierung der Produktion, worauf dann folgerichtig, auch getrieben durch die rasant zunehmende Elektrifizierung der Produktion, das Fließband stand. Die beginnende Automatisierung von Prozessen und Produktionsabläufen kennen wir bereits seit der dritten „Revolution“, die Anfang der 1970er-Jahre Einzug in die Fabriken hielt. 
 
Insofern setzt die vierte Revolution eigentlich nur die logische Entwicklung fort. Allerdings mit einem atemberaubenden Tempo. An diesem sind auch zwei weitere Innovationen nicht ganz unschuldig: Das Internet und die Digitalisierung. 
 
Insofern spielen diese drei Themenbereiche mehr in das übergreifende Thema „Digitaler Wandel“ hinein. Dieser ist in seiner Komplexität für eine Gesellschaft tiefgreifender, als es „Industrie 4.0“ auszudrücken vermag.
 
Doch was steckt eigentlich hinter dem aktuellen Schlagwort „Industrie 4.0“? Und welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus?
 
Industrie 4.0 hat als Ziel die intelligente Fabrik (Smart Factory[3]), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet. Dabei spielt die zunehmende Fusion der IT mit den Produktionsprozessen eine entscheidende Rolle.
 
Musste früher noch durch einen Produktionsarbeiter geschaut werden, wann neue Teile für den Prozess angefordert werden müssen, erledigen dies heute bzw. in Zukunft die Teile oder die Maschine oder entsprechende Sensoren selber, geben den digitalen Impuls zur Lieferung und selbstzustellende Transportsysteme bringen die notwendigen Materialen zur Maschine. Grundlage hierbei sind vorab definierte End-2-End-Prozesse, auf deren Grundlage die digitale Unterstützung designed und dann auch „programmiert“ wird. Dabei darf man nicht vergessen, dass die „Werkstücke“ und „Werkzeuge“ ebenfalls mit digitalisierten Funktionen (RIFD[4] oder QR[5]) ausgestattet sind und somit den Eingriff des Menschen in den digitalisierten Produktionsablauf quasi überflüssig machen.
 
Die „Digitalisierung der Produktion“ ist ein Prozess, der sich durch neue Technologie aber nun rasant beschleunigen wird. Diese neuen Technologien werden unter dem Oberbegriff Cyber-Physical-Systems (CPS[6]) zusammengefasst. Diese CPS-Technologie bildet das Grundgerüst der „Smart Factory“ (intelligente Fabrik), in der die Produktion sich selbststeuernd vollziehen soll. Dabei ist ein elementarer Bestandteil die Vernetzung der einzelnen Maschinen, Werkstücke, Produktionslinien entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
 
Und selbst bei den zu produzierenden Waren wird die Digitalisierung nicht halt machen. Das „Internet der Dinge“ (iot[7]) ist bereits heute ein ständiger Begleiter: angefangen bei der Druckerpatrone, die selbständig meldet, wenn der Füllstand zu niedrig ist, über die bereits produktionsreifen Ansätze des „Smart Home“, in welchem ich über eine App auf dem Smartphone sowohl Heizung als auch Kühlschrank steuern kann, bis hin zu Kontaktlinsen, die den Blutzuckerspiegel messen und via App im Notfall Hilfe herbeirufen können. In die gleiche Kategorie fällt übrigens auch das „eCall“-System[8] der EU, welches bei Unfällen selbständig den Notruf aktiviert und GPS-Daten weitergibt.
 
Natürlich versprechen sich die Firmen von diesem Ansatz eine höhere Effizienz, eine größere Flexibilität bei der Auftragsteuerung und am Ende höhere Gewinne durch sinkende Produktionskosten. 
 
Die Produktion steht aber auch noch vor weiteren fundamentalen Veränderungen. 
Das Zeitalter der Massenfertigung könnte unter Umständen vorbei sein. Dies bedeutet auch, dass sich hier auch kleinere Firmen im Markt positionieren werden, da durch die Digitalisierung und Vernetzung die individuelle Fertigung zu Kosten der Massenfertigung möglich wird. Und auf diesem Weg können selbst Einzelstücke wieder rentabel werden. Dinge, die bisher fast unvorstellbar waren, galt doch die Maxime: Je mehr Produktion/Stückzahl, desto geringer die Einkaufskosten und desto größer der mögliche Gewinn.
 
Weiterhin bedeutet die aktuelle Entwicklung auch eine Dezentralisierung der Produktionslinien, die durch neue Technologien wie 3D-Drucker noch unterstützt wird. Unter diesem Aspekt könnte sich die in den letzten Jahrzehnten herausgebildete  Wirtschaftsstruktur der Globalisierung, Fusionierung und Oligopolisierung umkehren. Wenn man diesen Gedanken konsequent zu Ende denkt, bedeutet dies im Grunde eine Reindustrialisierung.
 
Dieser digitale industrielle Wandel kann und wird dabei nicht gelingen, wenn es dazu keine echte Agenda gibt, die sich nicht nur mit den Chancen der Entwicklung beschäftigt, sondern auch mit deren wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Folgen.
Die einseitige Betrachtung aus Perspektive der Wirtschaft greift hier entschieden zu kurz, denn der digitale Wandel umfasst alle Lebensbereiche der Gesellschaft.
 
Daher kann der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf einer digitalen Agenda [9] nur enttäuschen, weil hier viele Bereiche ausgeklammert wurden und man auf vielen weiteren über bloße Absichtserklärungen oder vollmundige Phrasen nicht hinauskommt. Das haben die PIRATEN übrigens auch sehr detailliert kommentiert und sehr umfangreiche Vorschläge[10] gemacht, wie man dies besser machen kann.
 
Eine der großen Befürchtungen im Rahmen des digitalen Wandels ist, dass viele „einfache“ Arbeitsplätze wegfallen, sich Berufsbilder inhaltlich völlig verändern und dass es nicht gelingen wird, jede betroffene/wegfallende Arbeitskraft so umzuschulen oder zu qualifizieren, dass diese einen festen Platz im Arbeitsleben behalten kann.
 
Wissenschaftler der Universität Oxford haben im Rahmen einer Studie[11] herausgefunden, dass 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten bedroht sein könnten. Insofern würde die schöpferische Kraft des digitalen Wandels zu mehr Wachstum führen, aber im gleichen Moment auch Arbeitsplätze zerstören und somit zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit führen.
 
Dies hat natürlich unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsmarktpolitik, auf die Sozialpolitik und damit auf die Grundfesten unserer Demokratie.
Eine Arbeitslosigkeit, die sich trotz moderater Quoten in Deutschland auf einem zu hohen Niveau bewegt und vielmehr noch für die Integration von Langzeitarbeitslosen nach wie vor keine vernünftigen Antworten hat.  Diese Entwicklung könnte sich angesichts des digitalen Wandels ebenso dynamisch erhöhen, mit fatalen Folgen für die Betroffenen und natürlich auch die Gesellschaft. 
 
Notwendige Umschulungsprogramme dürfen sich beispielsweise nicht mehr nur auf die Beseitigung des „Fachkräftemangels“ im Pflegebereich konzentrieren, sondern müssen die Qualifizierung in Jobs ermöglichen. Es ist sinnvoller, wenn die Beschäftigten im Job auf die neuen Herausforderungen vorbereitet werden, als ihnen nach Eintritt der Arbeitslosigkeit Umschulungsmaßnahmen anzubieten, die wenig Aussicht auf Wiedereingliederung haben werden. Dazu bedarf es einer nachhaltigen Umsteuerung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und des sinnvollen Einsatzes der bereitgestellten Mittel. Darüber hinaus bedarf es für all diejenigen, die auf Grund des nicht oder nicht ausreichend vorhandenen Bildungsniveaus kaum Chancen in der digitalisierten Welt haben, einer sinnvollen Alternative. Diese kann beispielsweise das von der Piratenpartei angestrebte bedingungslose Grundeinkommen[12] sein.
 
Um diesen digitalen Wandel zu bewältigen bedarf es daneben noch zweier Aspekte, auf die ich ganz kurz eingehen möchte.
 
Zunächst wäre hier der Breitbandausbau zu nennen. Deutschland belegt hier im europäischen Maßstab einen Durchschnittsplatz am Ende des Mittelfelds. Dies ist natürlich für das Gelingen des digitalen Wandels in der Industrie nicht nur innovationshemmend, sondern vielfach auch arbeitsplatzvernichtend. Denn auf Dauer werden sich Firmen, die noch „analog“ produzieren auf dem immer dynamischeren Weltmarkt schon aus Kostengesichtspunkten keine Chance haben. Dabei ist das Versprechen der Bundesregierung, den Netzausbau voranzutreiben, zwar zu begrüßen, allerdings gibt es weder sinnvolle Netzausbaupläne, geschweige denn eine seriöse Finanzierungsstrategie. Insofern bleibt zu befürchten, dass der digitale Wandel in Deutschland verschlafen wird und am Ende noch viel mehr Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, als bisher absehbar.
 
Ein weiterer Aspekt ist der Datenschutz. Nicht erst seit dem NSA-Skandal dürfte uns allen schmerzhaft bewusst sein, wie wenig Stellenwert dieser bei der aktuellen Bundesregierung hat. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der persönlichen Daten, sondern auch um den Schutz der industriellen Daten. War es früher nur sehr schwer möglich, an Firmeninterna zu gelangen, ist dies heute auf Grund der Digitalisierung und der weltweiten Vernetzung ohne große Schwierigkeiten möglich – ganz egal, ob dies durch die NSA, den GCQH oder potentielle Hackergruppen aus Russland oder China erfolgt.
 
Insofern ist die laxe, um nicht zu sagen ignorierende Haltung der Bundesregierung in diesem Themenbereich nicht nur töricht, sondern bedroht darüber hinaus auch die notwendigen Schritte im Bereich des digitalen Wandels in der Industrie. 
 
Fazit: Industrie 4.0 ist weit mehr als eine Veränderung der Produktion. Der digitale Wandel umfasst alle – neben der Industrie auch alle Gesellschaftsbereiche. Deshalb reicht es eben absolut nicht aus, reine Industriepolitik zu betreiben, sondern es bedarf eines ganzheitlichen Konzeptes. Damit die Folgen der 4. Industriellen Revolution eben nicht auf dem Rücken der Steuerzahler ausgetragen werden. Damit die von dieser Entwicklung Betroffenen auch zukünftig eine Perspektive – oder eine entsprechende Absicherung – in der Gesellschaft haben.
 
Natürlich kann dies nur ein kurzer Abriss sein, denn der „Digitale Wandel“ umfasst wie beschrieben alle Gesellschaftsbereiche. Und so werden weitere Ausblicke hin zu den Themen gesellschaftliche Teilhabe, Netzpolitik, OpenData, BIG Data, Urheber- und Patentrechtrecht, Inklusion, Asylpolitik und die Rolle der Geheimdienste notwendig sein, um dieses Thema ganzheitlich anzugehen, Konzepte zu entwickeln und diese dann auch umzusetzen.
 
Plakativ ausgedrückt verlangt der digitale Wandel einen neuen Gesellschaftsentwurf.
 
Genau für diese Vielzahl von Problemstellungen und Herausforderungen haben die PIRATEN gute Ideen und teilweise auch bereits gute Antworten. Es reicht allerdings nicht, diese in ein Grundsatzprogramm zu schreiben, sondern es muss aktiv an der Erarbeitung konkreter Lösungsansätze gearbeitet werden.
 
Dies geht nur, wenn sich die gesamte Partei zu diesem Thema und den daraus resultierenden Herausforderungen bekennt und an der Umsetzung gemeinsam arbeitet. 
Nur dann sind die PIRATEN die bessere, und vor allem einzige Alternative zu den Langzeitetablierten.
 
 
 
 

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